9.6 Bestimmte Divergenz und uneigentliche Grenzwerte

In unseren bisherigen Betrachtungen haben wir uns, im Wesentlichen, nur um konvergente Folgen gekümmert. Wir wollen nun Folgen betrachten, die ein besonders übersichtliches Divergenzverhalten an den Tag legen.

9.6.1 Definition. Wir nennen eine Folge (an)n∈ℕ reeller Zahlen bestimmt divergent (oder uneigentlich konvergent) gegen ∞, falls gilt: Zu jeder beliebigen Zahl r ∈ ℝ gibt es einen Index n0, so dass an > r für alle n ≥ n0. In diesem Fall schreiben wir auch

lim a :=  lim a  := ∞
    n   n→ ∞ n
sowie
                                n→  ∞
an → ∞  für n→ ∞     oder   an −− −−−−→ ∞
und nennen ∞ den uneigentlichen Grenzwert oder uneigentlichen Limes der Folge (an)n∈ℕ.

Analog definieren wir bestimmte Divergenz gegen −∞. Dort muss zu jedem r ∈ ℝ ein Index n0 existieren, so dass an < r für alle n ≥ n0.

9.6.2 Bemerkung. In Worten ist eine Folge (an)n∈ℕ reeller Zahlen bestimmt divergent gegen ∞ (beziehungsweise −∞), wenn sie über alle Schranken wächst (beziehungsweise fällt).

Wir wollen allerdings an dieser Stelle schon klarstellen, dass das Symbolkeine tatsächliche Zahl ist. Wir benutzen es hier nur, um das Divergenzverhalten von Folgen auf kurze und übersichtliche Weise beschreiben zu können. Gleiches gilt für −∞. Wir werden in Bemerkung 9.6.8 noch näher darauf eingehen.

9.6.3 Beispiel.

1.
Die Folge (an)n∈ℕ mit an = n konvergiert uneigentlich gegen ∞. Um dies zu beweisen, sei eine Schranke r ∈ ℝ beliebig vorgegeben. Ist r < 1, so ist jedes Glied der Folge(an) größer als r. Ist r ≥ 1, so setzen wir n0 := ⌈r+1⌉. Das heißt, n0 ist die Zahl die entsteht, wenn man r + 1 zur nächstgrößeren ganzen Zahl aufrundet. Dann ist an = n ≥ n0 ≥ r+1 > r für alle n ≥ n0.
2.
Die alternierende Folge (an)n∈ℕ mit an = (−1)n ist zwar divergent, aber nicht bestimmt divergent. Allgemein ist keine alternierende Folge bestimmt divergent, denn jedes zweite Folgenglied ist positiv, alle anderen negativ. Insbesondere sind nicht fast alle Folgenglieder > 0, aber auch nicht fast alle < 0. Also kann die Folge weder bestimmt gegen ∞, noch bestimmt gegen −∞ divergieren.
3.
Arithmetische Folgen sind entweder konstant oder bestimmt divergent. Genauer gesagt, sei (an)n∈ℕ eine arithmetische Folge mit Differenz d. Dann gelten:
  • Ist d > 0, so konvergiert (an) uneigentlich gegen ∞.
  • Ist d = 0, so ist (an) konstant.
  • Ist d < 0, so konvergiert (an) uneigentlich gegen −∞.

Das liegt daran, dass (an) für d≠0 unbeschränkt und monoton ist. Die Unbeschränktheit sorgt für Divergenz, die Monotonie führt dazu, dass diese Divergenz in eine bestimmte Richtung verläuft. Dadurch ist die Folge (an) bestimmt divergent.

4.
Es sei (an)n∈ℕ eine geometrische Folge mit Anfangsglied a > 0 und Quotient q. Dann gelten:
  • Ist q > 1, so ist (an) bestimmt divergent mit uneigentlichem Grenzwert ∞.
  • Ist −1 ≤ q ≤ 1, so ist (an) konvergent.
  • Ist q < −1, so ist (an) zwar divergent, aber nicht bestimmt divergent.

Die bestimmte Divergenz für q > 1 kann man wieder mittels Unbeschränktheit und Monotonie erklären. Für −1 ≤ q ≤ 1 ist die Folge (an) konstant oder eine Nullfolge. Für q < −1 ist sie zwar unbeschränkt (und demnach divergent), aber alternierend (und demnach nicht bestimmt divergent).

  9.6.1 Eigenschaften