5.5 Lösungsverfahren: Auflösen und Einsetzen

5.5.1 Lösungsverfahren. (Auflösen und Einsetzen) Wir betrachten wieder das lineare Gleichungssystem

x +y = 1  ∧   2x− y = 3
aus Beispiel 5.4.2. Zunächst wählen wir eine der beiden Gleichungen aus; wir wählen hier die zweite. Dann suchen wir uns eine der Variablen aus, nach der wir die gewählte Gleichung auflösen; wir wählen hier y.
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Da wir das Gleichungssystem lösen wollen, also alle Zahlenpaare (x,y) suchen, die beide Gleichungen gleichzeitig erfüllen, dürfen wir die Gültigkeit der einen Gleichung nutzen, um die andere zu lösen. Genauer gesagt, setzen wir den gerade für y errechneten, noch von x abhängigen Wert y = 2x−3 in die andere Gleichung ein.

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Wir lösen diese Gleichung nun nach x auf.

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Das heißt also, dass x gleich der Zahl 4
3 sein muss, wenn x und y beide Gleichungen des linearen Gleichungssystems erfüllen sollen. Der x-Wert aller Lösungspaare ist damit eindeutig bestimmt. Wir können diesen nun in eine beliebige der beiden Ausgangsgleichungen oder daraus hergeleitete Gleichungen einsetzen, um den eindeutigen y-Wert der einzigen Lösung des Gleichungssystems zu ermitteln.

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Wir haben also gezeigt, dass (4
3,−1
3) die einzige Lösung des Gleichungssystems

x +y = 1  ∧   2x− y = 3
ist.

Da wir hier recht viel gerechnet und umgeformt haben, ist es ratsam eine Probe zu machen, die uns bestätigen soll, dass wir uns nicht verrechnet haben. In diesem Fall überprüfen wir, ob die von uns berechnete Lösung auch tatsächlich eine Lösung des angegebenen Gleichungssystems ist. Dazu setzen wir die berechnete Lösung in die beiden Gleichungen ein.

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Durch Einsetzen des von uns errechneten Punktes (4
3,−1
3) in die erste Gleichung erhalten wir also eine wahre Aussage, nämlich 1 = 1. Das bedeutet, dass (4
3,−1
3) eine Lösung der ersten Gleichung ist. Auch beim Einsetzen des Punktes in die zweite Gleichung

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erhalten wir eine wahre Aussage, nämlich 3 = 3. Also ist (4
3,−1
3) eine Lösung aller Gleichungen des Gleichungssystems und damit eine Lösung des Systems.

Einfacher ausgedrückt, machen wir die Probe, indem wir die berechnete Lösung in die Gleichungen einsetzen und dann überprüfen, ob auf beiden Seiten der Gleichungen dieselbe Zahl steht.

5.5.2 Rezept. Wir beschreiben das allgemeine Vorgehen im Lösungsverfahren “Auflösen und Einsetzen”:

1.
Wähle eine der Gleichungen des Gleichungssystems aus.
2.
Löse sie nach einer der noch in ihr vorkommenden Variablen auf.
3.
Benutze die entstehende Gleichung, um die Variable in allen anderen Gleichungen des Systems zu ersetzen die wir in Schritt 1 noch nicht gewählt haben.
4.
Wiederhole Schritte 1 bis 3 solange bis jede Gleichung einmal nach einer Variablen aufgelöst wurde und/oder bis klar ist, wie die Lösungsmenge des Gleichungssystems aussieht.
5.
Berechne gegebenenfalls die Lösung durch sukzessives Einsetzen.

Dabei ist es wichtig, bei jeder Wiederholung von Schritt 1 eine andere Gleichung auszuwählen. In Beispiel 5.5.7 lösen wir ein Gleichungssystem mit drei Variablen. Dabei wird deutlich, was mit sukzessivem Einsetzen gemeint ist.

5.5.3 Tipps. (Auflösen und Einsetzen) Bei diesem Lösungsverfahren hat man einige Wahlmöglichkeiten. Insbesondere muss man sich am Anfang entscheiden, welche Gleichung man nach welcher Variablen auflöst. Wir haben in unserem Beispiel die zweite Gleichung nach y aufgelöst. Wir hätten diese auch nach x auflösen können. Gleichermaßen hätten wir die erste Gleichung benutzen und diese nach einer beliebigen Variablen auflösen können.

Egal wie wir angefangen hätten, wir wären immer zum selben Ergebnis gekommen, nämlich dass (4
3,−1
3) die einzige Lösung des angegebenen linearen Gleichungssystems ist. Man sollte sich allerdings vorher kurz Gedanken darüber machen, welche Wahl man trifft, um sich die Aufgabe nicht unnötig kompliziert zu gestalten. Schauen wir uns einmal an, was wir erhalten, wenn wir die zweite Gleichung nach x auflösen.

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Hier hätten wir direkt nach dem ersten Schritt schon Brüche als Faktoren, was für den weiteren Verlauf vermutlich mehr Schreib- und Rechenaufwand bedeuten würde.

Wir können allerdings auch etwas anders an die Sache herangehen. Um die Brüche zu umgehen oder zumindest hinauszuzögern, können wir hier die erste Gleichung mit 2 multiplizieren, statt die zweite durch 2 zu dividieren. So können wir das Gleichungssystem

x+ y= 1   und  2x− y= 3
umformen in
2x+ 2y= 2   und  2x= 3 + y
Nun können wir mit Hilfe der rechten Gleichung die 2x in der linken Gleichung ersetzen.
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Nun können wir diesen Wert in die rechte Gleichung einsetzen und nach x auflösen. Dadurch landen wir wieder beim schon bekannten Ergebnis: (4
3,−1
3) ist die einzige Lösung des Gleichungssystems.

5.5.4 Aufgabe. Löse das lineare Gleichungssystem

5x+ y= − 3  ∧   5x+ 4y = − 6
indem du zu Beginn
1.
die erste Gleichung nach x auflöst und x dann in der zweiten Gleichung ersetzt.
2.
die erste Gleichung nach 5x auflöst und dann 5x in der zweiten Gleichung ersetzt.
3.
die erste Gleichung nach y auflöst und dann y in der zweiten Gleichung ersetzt.
4.
die zweite Gleichung nach y auflöst und dann y in der ersten Gleichung ersetzt.
5.
die zweite Gleichung nach 4y auflöst und dann 4y in der ersten Gleichung ersetzt (nachdem du diese passend umgeformt hast).

Welche Lösungswege fandest du am einfachsten? Mache dir klar, aus welchen Gründen du diese als einfacher empfunden hast als die anderen. Versuche zu verstehen, wie diese Gründe mit den getroffenen Entscheidungen zusammenhängen (zum Beispiel die Entscheidung nach 5x aufzulösen statt nach x oder y).

Um ein besseres Gefühl dafür zu bekommen was einfacher und was umständlicher ist, kannst du gerne auch noch weitere Lösungswege ausprobieren. Du musst dich dabei nicht auf das oben gegebene Gleichungssystem beschränken. Weitere Beispiele findest du etwa in Aufgabe 5.5.5.

5.5.5 Aufgabe. Benutze das Lösungsverfahren “Auflösen und Einsetzen” um die folgenden linearen Gleichungssysteme zu lösen. Mache jeweils eine Probe, ob dein Ergebnis stimmen kann. (Dies sind dieselben Gleichungssysteme wie in Aufgabe 5.6.7. Wenn du beide Aufgaben bearbeitest, kannst du dir ein Bild darüber verschaffen, wann dir welches Lösungsverfahren lieber ist.)

1.
x+3y = 0 ∧ x−y = 0
2.
2x+y = 1 ∧ x+2y = −1
3.
3x+4y = 10 ∧ 3x−2y = 4
4.
x+y = 2 ∧ 3x+5y = 1
5.
32x+12y = 2 ∧ x−12y = 12
6.
0,12x+0,04y = 1 ∧ 0,9x+0,01y = 1,12

5.5.6 Bemerkung. (weitere Fälle).  Bisher haben wir nur den Fall von linearen Gleichungssystemen in zwei Variablen mit eindeutiger Lösung betrachtet. Wir wollen daher in dieser Bemerkung und Beispiel 5.5.7 auf die anderen Fälle eingehen, die vorkommen können.

Als Erstes betrachten wir den Fall, dass die Lösung nicht eindeutig bestimmt ist. Dies kann vorkommen, wenn mindestens zwei Gleichungen des betrachteten Systems sich durch Multiplikation mit einer von 0 verschiedenen Zahl ineinander umformen lassen. Haben wir etwa das Gleichungssystem

x− 2y = 5  ∧   − 3x+ 6y= − 15
gegeben, so erhalten wir die zweite Gleichung indem wir die erste mit (−3) multiplizieren.
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Umgekehrt können wir natürlich auch die zweite Gleichung durch Multiplikation mit −1
3 in die erste Gleichung umformen.

Wichtig für uns ist aber nur die logische Konsequenz, dass die Gleichung x−2y = 5 genau dann erfüllt ist, wenn die Gleichung −3x+6y = −15 erfüllt ist. Das bedeutet, dass wir eine der Gleichungen aus dem System entfernen können, ohne die Lösungsmenge des Gleichungssystems zu ändern. Demnach haben das System

x− 2y = 5  ∧   − 3x+ 6y= − 15
und die Gleichung
x− 2y = 5
dieselbe Lösungsmenge. Sind wir an allen Lösungen in den reellen Zahlen interessiert, so gibt es unendlich viele Lösungen. Insbesondere ist die Lösung des Gleichungssystems nicht eindeutig bestimmt.

Der nächste Fall, den wir betrachten wollen, ist der, dass das gegebene Gleichungssystem keine Lösung in der betrachteten Menge hat. Dies kommt unter anderem dann vor, wenn das Gleichungssystem zu viele Gleichungen enthält, die nicht ineinander umgeformt werden können. Betrachten wir beispielsweise das Gleichungssystem

⌊                       ⌋
     x  +    y =      0
||    x  −   2y =      5 ||
|                       |
⌈  − 3x +   6y =   − 15 ⌉
    − x +    y =      4
Wir sehen, dass wir die zweite Gleichung durch Multiplikation mit (−3) in die dritte Gleichung umformen können. Das heißt, wir dürfen eine der beiden Gleichungen wegfallen lassen und das dadurch vereinfachte System
⌊                   ⌋
    x  +   y  =   0
|                   |
⌈   x  −  2y  =   5 ⌉
  − x  +   y  =   4
betrachten. Es sind nun drei Gleichungen übrig, die wir nicht ineinander umformen können. Da wir aber nur zwei Variablen haben, hat dieses Gleichungssystem keine Lösung.

Wir zeigen dies, indem wir nach der Methode “Auflösen und Einsetzen” verfahren. Lösen wir die erste Gleichung nach x auf, so erhalten wir

x= − y
Wir setzen dies nun zunächst in die zweite Gleichung ein
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und dann in die dritte

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Da die beiden resultierenden Gleichungen y = −5
3 und y = 2 nicht gleichzeitig erfüllt sein können, hat das betrachtete Gleichungssystem keine Lösung. Die Lösungsmenge ist also leer.

5.5.7 Beispiel. (mehr als zwei Variablen).  Wir wollen hier an einem Beispiel klar machen, dass Rezept 5.5.2 auch im Falle von mehr als zwei Variablen funktioniert. Dazu betrachten wir das lineare Gleichungssystem

⌊                             ⌋
| − 5x  +  2y  −   4z  =    2 |
⌈ − 4x  +  3y  −   5z  =    7 ⌉
  − 3x  +  4y  +    z  =  − 9
und gehen exakt nach Rezept vor. Da wir bisher keine der Gleichungen nach einer Variablen aufgelöst haben, dürfen wir uns frei aussuchen, welche der Gleichungen des Systems wir zuerst benutzen. Wir wählen die dritte Gleichung und lösen sie nach z auf.
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Nun ersetzen wir mit Hilfe dieser Gleichung die Variable z in allen anderen Gleichungen des Systems. Zuerst ersetzen wir z in der ersten Gleichung.

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Dann in der zweiten.

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Unser Gleichungssystem sieht nach diesen Umformungen wie folgt aus:

⌊                                   ⌋
| − 17x  +  18y       =        − 34 |
⌈ − 19x  +  23y       =        − 38 ⌉
                   z  =  3x − 4y− 9
Wir beginnen wieder bei Schritt 1 des Rezepts. Diesmal müssen wir uns zwischen den ersten beiden Gleichungen entscheiden. Wir wählen die erste Gleichung. Diese hängt nur noch von den Variablen x und y ab. Wir lösen nach x auf.
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Diese Gleichung benutzen wir nun, um die Variable x in der zweiten Gleichung zu ersetzen.

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Die dritte Gleichung haben wir schon nach einer Variablen aufgelöst, sodass wir x dort nicht ersetzen müssen. Das umgeformte Gleichungssystem sieht nun wie folgt aus:

⌊                      18   ⌋
  x           =    2 + --⋅y
||                      17   ||
|⌈      y      =           0 |⌉
            z =   3x− 4y− 9
Die einzige Gleichung, die wir in Schritt 1 des Rezeptes noch wählen könnten, ist die zweite Gleichung. Diese ist aber schon nach y aufgelöst, sodass wir nichts mehr tun müssen. Wir können also mit dem sukzessiven Einsetzen beginnen.

Zuerst setzen wir y = 0 in allen anderen Gleichungen ein und erhalten dadurch das Gleichungssystem

⌊ x           =       2 ⌋
|                       |
⌈      y      =       0 ⌉
            z =   3x− 9

Nun kennen wir auch den Wert, den x annehmen muss (nämlich x = 2) und können daher auch x in allen anderen Gleichungen ersetzen. Dadurch erhalten wir schließlich das Gleichungssystem

⌊                     ⌋
  x            =    2
|⌈      y       =    0 |⌉

            z  =  − 3
von dem wir die Lösung einfach ablesen können: (2,0,−3).

Wir überprüfen unser Ergebnis, indem wir die berechneten Werte in das ursprüngliche Gleichungssystem

⌊                             ⌋
| − 5x  +  2y  −   4z  =    2 |
⌈ − 4x  +  3y  −   5z  =    7 ⌉
  − 3x  +  4y  +    z  =  − 9
einsetzen.
− 5⋅2  +   2⋅0  −  4 ⋅(− 3)  =  − 10  +  0  +   12  =   2

− 4⋅2  +   3⋅0  −  5 ⋅(− 3)  =   − 8  +  0  +   15  =   7
− 3⋅2  +   4⋅0  +  1 ⋅(− 3)  =   − 6  +  0  −   3   =  − 9
Wir sehen dadurch, dass (2,0,−3) in der Tat alle drei Gleichungen des gegebenen Systems erfüllt.